Reboarder: So sicher sind Reboardkindersitze
Sind Reboarder wirklich sicherer als Vorwärtssitze? Ja!
Ein rückwärtsgerichteter Kindersitz schützt dein Kind im gefährlichsten Szenario – einem Frontal-Zusammenstoß – deutlich besser als ein Vorwärtssitz. Der Grund ist biomechanisch simpel: Statt den Kopf nach vorne ins Leere zu beschleunigen, leitet der Reboarder die Kräfte in die Kopfstütze und die Sitzschale ab und entlastet das empfindliche Genick deines Kindes.
In diesem Kapitel erkläre ich dir, wie Reboarder funktionieren und warum. Ich zeige dir, wie sich die Unfallarten (Frontalunfall, Seitenaufprall, Heckkollision) verteilen und wie dein Kind von der Schutzwirkung des Reboarders profitiert.
Außerdem habe ich dir viele lange und kurze Videos von Crashtests eingebettet und ich erzähle dir alles über den schwedischen Plustest , den Kindersitztest, dem man nachsagt, der härteste Kindersitztest der Welt zu sein.
Inhaltsverzeichnis: Warum Reboarder sicher(er) sind
Warum Reboarder sicherer sind
Dass Reboarder sicherer sind als Vorwärtssitze, weißt du bereits. Im Folgenden erfährst du, warum sie es sind.
Kleines Baby, schwerer Kopf
Hast du dir dein Baby schon einmal genauer angesehen? Gewiss, aber ist dir aufgefallen, wie groß und schwer der Kopf deines Babys im Vergleich zum Rest seines Körpers ist? Während der Kopf bei einem Erwachsenen nur ca. 6 % seines Körpergewichtes ausmacht, nimmt der Kopf eines Neugeborenen über 25 % seines Gewichts ein, ein ganzes Viertel.
Gleichzeitig ist die Hals- und Nackenmuskulatur bei Babys und Kleinkindern noch wenig ausgeprägt und muss sich in den ersten Lebensjahren erst entwickeln. Kein Wunder, dass die Kleinen sich beim Heben des Köpfchens nach der Geburt noch so schwer tun. Der Nacken deines Babys ist außerdem noch sehr empfindlich, weshalb du den kleinen Kopf in den ersten Lebenswochen noch mit deinen Händen stützen musst. Wir möchten uns gar nicht vorstellen, was passiert, wenn dieser riesige schwere Kopf bei einem Unfall ruckartig und ungebremst nach vorne geschleudert wird, oder?
Genau das passiert allerdings bei einem Frontalunfall, wenn dein Kind in einem Vorwärtssitz fährt und du mit einem anderen Auto zusammenprallst oder gegen eine Mauer oder einen Baum fährst: Der kleine schwere Kopf wird mit hoher Geschwindigkeit nach vorne geschleudert und das Genick deines Kindes extrem hohen Kräften ausgesetzt.
Rückwärts bis mindestens 15 Monate
Das ist der Grund dafür, dass Babys in Babyschalen und Kindersitzen bis zu einem Alter von mindestens 15 Monaten rückwärts fahren müssen. Das war allerdings nicht schon immer so, der Gesetzgeber hat vor einigen Jahren nachgebessert und die frühere 9-kg-Grenze für den Wechsel in einen vorwärtsgerichteten Sitz durch ein Mindestalter und eine Mindestgröße ersetzt (je nach Modell unterschiedlich, jedoch frühestens ab 76 cm).
Diese 15 Monate sind aus der Sicht nahezu aller Kindersicherheitsexpertinnen und -experten jedoch immer noch viel zu kurz, denn das Verhältnis vom Körper- zum Kopfgewicht verändert sich nur sehr langsam: Selbst bei einem 6-jährigen Kind macht der Kopf noch rund 15 % des Körpergewichts aus. Und rein biomechanisch betrachtet wäre es auch noch für Erwachsene sicherer, im Auto rückwärts zu fahren – vorausgesetzt sie sitzen nicht gerade am Steuer und müssen den Verkehr im Blick behalten.
Körper-Kopf-Gewichtsverhältnis vom Baby bis zum Erwachsenen
In meiner Grafik kannst du dir die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Körper- und dem Kopfgewicht genauer ansehen.
Verteilung der Unfallarten und die Schutzwirkung von Reboardern
Der Frontalunfall ist die häufigste Unfallart
Vielleicht ist es dir aufgefallen: Als ich erläutert habe, wie problematisch es ist, wenn ein Baby oder Kleinkind vorwärts im Kindersitz sitzt, habe ich von einem Frontalunfall gesprochen.
Wenn wir über die Sicherheit von Kindern im Auto und über Reboarder sprechen, lohnt sich ein Blick in die Unfallforschung, denn Studien zufolge verteilen sich die Unfälle innerhalb der EU folgendermaßen:
- ca. 61-69 % der Unfälle sind Frontal-Kollisionen,
- ca. 22-29 % Seiten-Kollisionen und nur
- ca. 2 % Heck-Kollisionen.
Heckaufprall- und Überschlag-Szenarien sind statistisch selten und werden auch wegen des häufig nur geringen Schadens beim Heckunfall oft nicht polizeilich erfasst (z. B. kleinere Auffahrunfälle). Das heißt: Der überwiegende Teil aller Unfälle sind Frontal-Unfälle, gefolgt von Seitenaufprall-Szenarien.
Unterscheidung der Unfallarten
- Unter Frontalkollisionen fallen Unfälle, bei denen ein Auto gegen eine Barriere (zum Beispiel eine feste Wand oder einen Baum oder eine Leitplanke) prallt oder Unfälle zwischen zwei Fahrzeugen, die in entgegengesetzte Richtungen fahren und aufeinanderprallen (gescheiterter Überholvorgang, Geisterfahrer etc.).
- Bei einem Seitenaufprall kollidiert ein Fahrzeug mit einem anderen und trifft meist im rechten Winkel auf dessen Seite. Ursache dafür sind oftmals Vorfahrtsverletzungen, Abbiegeunfälle und fehlgeschlagene Spurwechsel.
- Bei einem Heckunfall erfolgt der Aufprall von hinten. Solche Unfälle ereignen sich häufig an Ampeln, bei plötzlichen Bremsmanövern des vorderen Fahrzeugs und zu wenig Abstand des hinteren Fahrzeugs oder bei einem Stau auf der Autobahn.
In der Realität verlaufen Unfälle selten nach Lehrbuch, häufig handelt es sich um eine Mischform aus einem Frontalaufprall und einem Seitenaufprall: Bei einem frontal-seitlichen Aufprall wird das Fahrzeug nicht komplett frontal und auch nicht aus einem 90°-Winkel seitlich getroffen, sondern schräg aus einem Winkel von z. B. 30 bis 60°.
Bei einem Offset-Crash wird nur ein Teil der Fahrzeugfront frontal getroffen, zum Beispiel die linke oder rechte Ecke. Dadurch wird das Auto nicht gleichmäßig, sondern einseitig abgebremst. Die Folge: Das Fahrzeug beginnt sich beim Aufprall leicht zu drehen. Diese Drehbewegung wirkt wie eine Mischung aus Frontal- und Seitenaufprall und belastet die Insassen besonders komplex.
Wird die Ecke eines Fahrzeugs schräg oder frontal-seitlich getroffen, wird das Fahrzeug durch die Wucht des Aufpralls um den Kollisionspunkt herum gedreht. Bei so einem Unfall wirken die Kräfte mehrdimensional auf die Insassen des Fahrzeugs, also nicht nur nach vorne und hinten, sondern auch diagonal und rotierend.
Wir konzentrieren uns jetzt aber erst einmal auf den Frontalcrash, denn diese Aufprallart kommt nicht nur besonders häufig vor, sie ist auch die gefährlichste.
Der Frontalunfall ist auch die gefährlichste Unfallart
Frontalunfälle führen auch die Statistik der Unfälle an, bei denen es Schwerverletzte und Tote gibt: Über die Hälfte dieser Unfälle, ca. 55 %, sind ein Frontalunfall, gefolgt von Seitenaufprall-Szenarien mit 35-40 %. Die restlichen 5 % der Unfälle resultieren aus einem Heckaufprall. Der Frontalunfall ist nicht nur die häufigste, sondern auch die gefährlichste Unfallart. Umso wichtiger, dass unsere Kinder bei dieser Art von Unfall sehr gut geschützt sind.
Hinweis:
Je nach Studie und Statistik variieren die Angaben zur Verteilung der Unfallarten stark – große Übereinstimmung besteht jedoch darin, dass die meisten Todesfälle und Schwerverletzten auf Frontal- und Seitenunfälle bzw. eine Kombination aus beiden Unfallarten zurückzuführen sind. Im echten Leben wirken die Kräfte bei einem Verkehrsunfall oft gleichzeitig oder nacheinander aus verschiedenen Richtungen – zum Beispiel, wenn ein Auto schräg von vorne getroffen wird und dabei auch seitlich beschädigt wird oder wenn es bei einem Unfall mehrere Aufprallpunkte gibt. Umso wichtiger ist es, dass der Kindersitz bzw. Reboarder dein Kind bei allen Arten von Unfällen gut schützen kann.
Und was ist beim Heckaufprall?
Kennst du diese Diskussionen, die es gefühlt nur im Internet gibt? Die Frage, ob ein Reboarder beim Heckaufprall nicht genauso unsicher ist wie ein Vorwärtssitz beim Frontalcrash, gehört definitiv dazu.
Allein die Annahme, ein Heckaufprall wäre ein umgekehrter Frontalaufprall, ist unfallmechanischer Quatsch nicht richtig. Und selbst wenn sie stimmen würde, würden wir uns dann wirklich für den Kindersitz entscheiden, der das sehr viel seltenere und weniger schwere Risiko absichert?
Kurzum: Reboarder sind auch bei Heckunfällen sicher. Warum?
- Heckunfälle sind selten, sie machen nur etwa 2 % aller Verkehrsunfälle aus.
- Die Aufprallenergie bei Heck-Kollisionen ist meist gering, weil beide Fahrzeuge in die gleiche Richtung fahren. Die tatsächliche Aufprall-Geschwindigkeit ergibt sich aus der Differenz beider Geschwindigkeiten, nicht aus der Geschwindigkeit des Auffahrenden.
- Schwere oder tödliche Verletzungen bei Heck-Kollisionen sind selten, gerade bei Kindern.
- Der empfindliche Kopf deines Kindes sitzt im Reboarder weiter vom Aufprallpunkt entfernt als im Vorwärtssitz, mehr Puffer = mehr Schutz.
Viele gute Gründe, um dein Kind möglichst lange rückwärts fahren zu lassen. Und mal ehrlich: Warum hat sich diese Frage eigentlich noch nie jemand bei der Babyschale gestellt?
Vergleich Vorwärtssitz und Reboarder beim Frontalaufprall
Da Frontalunfälle die gefährlichsten Unfälle sind, werde ich dir zuerst anhand eines Beispiels zeigen, warum es so wichtig ist, dass dein Kind bei einem solchen Unfall rückwärts sitzt.
Das passiert bei einem frontalen Unfall im Vorwärtssitz
Stell dir vor, Ihr seid gemeinsam zum Einkaufen unterwegs, dein Kind sitzt auf der Rückbank in seinem Vorwärtssitz. Plötzlich kommt dir ein anderes Fahrzeug auf deiner Spur entgegen, ein Zusammenstoß ist unvermeidlich. In der nächsten Sekunde prallen die beiden Autos mit voller Wucht aufeinander.
Sehen wir uns an, was in dieser Situation im Kindersitz geschieht: Durch die plötzliche Verzögerung wird der Körper deines Kindes mit großer Kraft nach vorne, in Fahrtrichtung, geschleudert. Der Sicherheitsgurt des Kindersitzes hält zwar seinen Oberkörper im Sitz, doch der Kopf folgt dem Gesetz der Trägheit und bewegt sich weiter nach vorne bis er abrupt gestoppt wird. Genau hier liegt die größte Gefahr: Innerhalb von Sekundenbruchteilen wirken enorme Kräfte auf das zarte Genick deines Kindes, es besteht Lebensgefahr.
Die Verzögerung bei einem Aufprall mit „nur“ etwa 50 km/h kann kurzzeitig das 20- bis 25-fache der Erdbeschleunigung betragen. Das heißt: Bei einem Crash wirkt der Kopf plötzlich zehn- bis zwanzigmal schwerer. Für den Nacken entspricht das einer Last von 150 bis 300 Kilo – deutlich mehr als das empfindliche Genick eines kleinen Kindes sicher abfangen kann, denn der Kopf ist im Verhältnis zum Körper sehr groß und schwer, während die Halsmuskulatur, die kleinen Knochen und die Bänder noch nicht ausreichend entwickelt sind, um eine so starke Belastung sicher abzufangen.
Es entstehen große Streck- bzw. Zugkräfte am Nacken, die schwere Verletzungen wie zum Beispiel Querschnittlähmungen verursachen können. Von außen sieht es aus, als wäre dein Kind sicher angeschnallt, doch im Inneren des Körpers, besonders am noch schwachen Genick, wirken lebensgefährliche Kräfte.
50 km/h klingt so wenig, aber wusstest du, dass bei einem Frontalzusammenstoß mit "nur" 50 km/h die gleiche Energie entsteht wie bei einem Sturz aus fast 10 Metern Höhe? Das entspricht etwa dem 3. Stockwerk eines Hauses. Diese gewaltige Kraft wirkt bei einem Frontalzusammenstoß binnen Millisekunden auf dein Kind ein.
Video: Dummy im Vorwärtssitz beim Frontalaufprall
Wie große Kräfte bei einem Frontalaufprall wirken, zeigt dieses schon ältere Video des Real Automóvil Club de España (kurz RACE, das Pendant zum deutschen ADAC).
Im Video siehst du einen Crashtest mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 64 km/h. Der Dummy im Kindersitz entspricht einem ca. 1,5-jährigen Kind und sitzt in einem vorwärtsgerichteten Kindersitz der Gruppe 1 (für Kinder von 9 bis 18 kg).
Deutlich zu erkennen: Die enorme Kraft, die auf das Genick des Dummys wirkt.
Das passiert bei einem Frontalunfall im Reboarder
Stellen wir uns jetzt das gleiche Szenario vor, allerdings sitzt dein Kind in einem Reboarder. Wieder prallen zwei Autos frontal ineinander.
Dein Kind sitzt rückwärts, das heißt, bei der plötzlichen Verzögerung wird der Kopf deines Kindes auch in diesem Szenario weiter in Fahrtrichtung gedrückt.
Im Reboarder schnellt der Kopf jedoch nicht ungebremst nach vorne, er wird beim Aufprall in die Kopfstütze des Kindersitzes gedrückt. Auch der Oberkörper wird vergleichsweise sanft von der Sitzschale des Kindersitzes aufgefangen, die Aufprallenergie verteilt sich über eine sehr viel größere Fläche als bei einem Vorwärtssitz.
Dadurch ist die Belastung auf die empfindliche Halswirbelsäule erheblich geringer als im Vorwärtssitz.
Das heißt: Die Belastung auf dem empfindlichen Genick deines Kindes ist bei einem Frontalunfallgeschehen bei einem Vorwärtssitz 3-7-mal so hoch wie bei einem Reboarder.
Statt 150 bis 300 Kilo Streckkraft wirken bei einem Reboarder nur ungefähr 40 bis 60 Kilo, eine Kraft, die die empfindliche Halsmuskulatur und die Knochen deutlich besser abfangen können. Dadurch sinkt das Risiko für schwere Halswirbelsäulenverletzungen und bleibende Schäden erheblich. Dein Kind wird im Reboarder bei einem Frontalaufprall also deutlich besser geschützt als in einem Vorwärtskindersitz.
Video: Dummy im Reboarder beim Frontalaufprall
Für den direkten Vergleich zwischen einem Vorwärts- und einem Rückwärtssitz habe ich hier noch ein weiteres (ebenso altes) Video von RACE eingebettet.
Du siehst einen Dummy, der einem 1,5-jährigen Kind entspricht. Er sitzt rückwärts in einem Cybex Sirona.
Die Kraft, die auf das Genick wirkt, ist deutlich geringer als beim Dummy im Vorwärtssitz.
Video: Vergleich Dummy im Vorwärts- und Rückwärtssitz
Für einen anschaulichen Vergleich zwischen dem Verhalten eines Vorwärtssitzes und eines Reboarders habe ich noch ein weiteres Video von RACE eingebettet.
In dem Video zu sehen: Eine Babyschale (quasi ein kleiner Reboarder) und ein Kleinkind-Kindersitz, vorwärts installiert, im Vergleich.
Die Video-Sequenz stammt aus dem ADAC-Kindersitztest 2015. Auch hier ist deutlich zu erkennen, wie hoch die Belastung auf den Nacken des Kindes im Vorwärtssitz ist.
Die Videos sprechen eine sehr deutliche Sprache, oder?
Die spricht übrigens auch ein Kindersitztest, der sich auf genau diesen Aspekt konzentriert, der schwedische Plustest.
Der schwedische Plustest 🇸🇪 - der härteste Kindersitztest der Welt
Wenn du dich über Reboarder informierst, wirst du früher oder später immer auch auf den schwedischen Plustest stoßen. Der VTI-Plustest gilt als der strengste Kindersitztest der Welt. Der schwedische Plustest ist nicht nur härter als der Zulassungstest, er setzt auch strengere Maßstäbe für das Bestehen als der ADAC-Kindersitztest – zumindest was den Frontalcrash angeht.
Die wichtigsten Informationen zum schwedischen Plustest:
- Es handelt sich um einen freiwilligen Test, den der Kindersitz-Hersteller beauftragen kann.
- Es gibt keine Noten oder Abstufungen. Entweder der Kindersitz besteht den Test oder er besteht ihn nicht.
- Kindersitze, die den schwedischen Plustest bestehen, erhalten ein Siegel, das Plustest-Siegel.
- Das Hauptaugenmerk des Kindersitztests liegt auf der Nackenbelastung beim Frontalcrash. Seit der Revision des Plustests im Jahr 2023 wird zusätzlich die Stabilität/Robustheit der getesteten Kindersitze überprüft.
- Bis 2023 hat kein vorwärtsgerichteter Kindersitz den schwedischen Plustest bestanden. Seit 2023 dürfen nur noch rückwärtsgerichtete Kindersitze für den Test angemeldet werden.
So entstand der Plustest
Die Anfänge des schwedischen Plustests gehen bis in die 70er Jahre zurück. Bereits damals war Schweden Vorreiter in Sachen Kindersicherheit und setzte auf rückwärtsgerichtete Kindersitze, einzig ein offizielles Testverfahren fehlte noch. So wurde der T-Test geboren, ein nationaler Kindersitztest. Der Schwerpunkt des Crashtests lag schon damals auf den kritischen Belastungen auf das Genick eines Kindes bei einer Frontalkollision.
Mit dem Eintritt Schwedens in die EU übernahm das Land die UN ECE-Typgenehmigungsverfahren und der T-Test wurde ausgesetzt. Im Jahr 2007 führte das schwedische nationale Straßen- und Verkehrsforschungsinstitut Statens väg- och transportforskningsinstitut, kurz VTI, den T-Test 2.0 ein, zusätzlich zum bestehenden Zulassungstest. Der Test erhielt den Namen Plus-Test.
Das klingt ziemlich interessant? Finde ich auch, deshalb habe ich mich im Kapitel 7 meines Reboarder-Ratgebers noch viel ausführlicher mit den Anfängen der Kindersicherheit beschäftigt. ☺ Wenn du mehr zum T-Test und den Kindersitzen aus dem letzten Jahrhundert erfahren möchtest, lies gerne hier weiter: ➞ Die Geschichte des Reboarders – wie die NASA die Kindersicherheit inspirierte.
In diesem Video nimmt uns Tommy Pettersson vom VTI auch noch einmal mit zurück zu den Anfängen des schwedischen Plustests:
Methodik: Das passiert beim schwedischen Plustest
Was passiert nun beim Plustest? Ich erzähle es dir: Der Kindersitz wird für den Plustest auf einer Sitzbank eingebaut und auf einem Crashtest-Schlitten fixiert. Dieser Schlitten rast anschließend mit rund 56 km/h frontal auf eine massive Barriere.
Das Besondere ist nicht allein die Geschwindigkeit, sondern vor allem der extrem kurze Bremsweg: Auf gerade einmal etwa 55 Zentimetern (550 ± 50 mm) kommt das „Auto“ zum Stillstand. Dadurch entstehen enorme Verzögerungskräfte, ein Szenario, das einem schweren Frontalunfall auf der Straße sehr nahekommt.
Im Kindersitz sitzt ein hochentwickelter Q-Dummy (bis 2023 waren es P-Dummys), entweder Q 3, der vom Körperbau her einem etwa 3-jährigen Kind entspricht, oder der größere Q 6-Dummy, vergleichbar einem 6-jährigen Kind.
Die Dummys sind mit einer Vielzahl empfindlicher Sensoren ausgestattet. Für den Plustest besonders wichtig sind die Messpunkte im Halsbereich, denn anhand dieser entscheidet sich, ob ein Sitz die kritische Belastungsgrenze unter- oder überschreitet.
Die Kombination aus harter Crash-Simulation und präziser Messtechnik macht den Plustest so einzigartig: Beim Plustest zeigt sich, wie stark der empfindliche Nacken eines Kindes im Ernstfall belastet würde. Für Eltern sichtbar sind die detaillierten Ergebnisse allerdings nicht. Der VTI veröffentlicht keine Tabellen mit Messwerten. Ein Sitz bekommt entweder das Plus-Test-Label oder nicht. Bei einem rein rückwärtsgerichteten Kindersitz ist daher nach außen hin nicht zu erkennen, ob er nie für den Plustest angemeldet wurde oder diesen nicht bestanden hat.
Wann besteht ein Kindersitz den schwedischen Plustest?
Ein Kindersitz besteht den schwedischen Plustest, wenn er robust ist und beim Crash stabil bleibt. Die Nackenbelastungswerte müssen folgende Grenzwerte unterschreiten:
Bis 2023: 1.220 N (P 3-Dummy), 1.640 N (P 6-Dummy)
Seit Herbst 2023: 1.460 N (Q 3-Dummy), 1.880 N (Q 6-Dummy) 1.
Die Grenzwerte im Plustest sind so gewählt, dass sie knapp unterhalb der Schwelle liegen, ab der schwere oder tödliche Verletzungen am Genick eines Kindes wahrscheinlich werden.
Grundlage dafür sind biomechanische Berechnungen aus realen Unfalldaten und Crashtest-Studien, aus denen bekannt ist, welche Kräfte die kindliche Halswirbelsäule aushält, ohne dass Wirbelkörper oder das Rückenmark ernsthaft geschädigt werden.
Mit Einführung der modernen Q-Dummys wurden die Grenzwerte beim Plustest im Jahr 2023 angepasst, weil die neuen Q-Dummys realistischere Messwerte liefern als die älteren P-Dummys. Außerdem wurde die härtere Testmethodik mit kürzerem Bremsweg und stärkeren Verzögerungen bei der Neufestlegung der Grenzwerte berücksichtigt.
Dadurch spiegeln die neuen Werte das aktuelle Verständnis der Unfallforschung wider und sichern ab, dass Kindersitze den Test nur dann bestehen, wenn sie das empfindliche Genick des Kindes unter besonders anspruchsvollen Crashbedingungen wirksam schützen.
1 Quelle: VTI PM 2024, Emily Uddman: 12 A Voluntary crash test of child restraint system Plus
Keine Notenwerte beim schwedischen Plustest
Der schwedische Plustest ist ein Alles-oder-nichts-Prüfverfahren.
Entweder der Sitz unterschreitet die Grenzwerte für die Nackenbelastung oder er fällt durch. Anders als beim ADAC oder der Stiftung Warentest gibt es keine Teilergebnisse, keine Noten und keine weiteren Prüfbereiche (wie zum Beispiel die Handhabung, Ergonomie oder Schadstofftests wie beim ADAC).
Das Plustest-Siegel sagt lediglich: Dieser Sitz ist im Frontalcrash-Szenario so sicher, dass das Kind bei einem Unfall sehr wahrscheinlich keine schwerwiegenden Verletzungen im Bereich des Genicks erleidet.
Im eingebetteten Video kannst du dir den Klippan CarGO im Plustest ansehen.
Video: Klippan CarGO beim schwedischen Plustest
Grenzen des schwedischen Plustests
Kommen wir zur wichtigsten Frage: Ist es sinnvoll, einen Reboarder mit Plustest-Siegel zu kaufen? Ja und nein.
Das Plustest-Siegel ist ein wichtiger Indikator dafür, dass der geprüfte Kindersitz seinen kleinen Insassen im gefährlichen Frontalaufprall-Szenario gut schützt.
Trotzdem solltest du bei der Auswahl deines Kindersitzes weitere Faktoren berücksichtigen:
- Passform & Alltagstauglichkeit prüfen: Ein Reboarder kann das Plus-Label tragen und trotzdem im Alltag nicht optimal für dein Kind geeignet sein. Passt die Gurtführung nicht, sitzt dein Kind unbequem oder lässt sich der Sitz im Auto nicht stabil einbauen, hilft das beste Siegel nichts. Darum bleibt der wichtigste Schritt: den Reboarder mit Kind und im eigenen Auto ausprobieren und auf seine Alltagstauglichkeit testen.
- Seitenaufprall mitdenken: Der schwedische Plustest prüft ausschließlich den Schutz beim Frontalaufprall. Das ist zwar die häufigste und gefährlichste Unfallart, aber in der Realität spielt auch der Seitenaufprall eine große Rolle. Hier geben dir zusätzliche Testergebnisse, etwa vom ADAC oder der Stiftung Warentest, wertvolle Informationen.
- Kein Plustest-Siegel heißt nicht automatisch, dass der Kindersitz durchgefallen ist: Reboarder, die keinen Plustest-Aufkleber haben, sind nicht automatisch schlechter als Kindersitze mit dem Aufkleber. Zudem können auch Kindersitze, die rückwärts und vorwärts verwendet werden können, sehr sicher sein, solange du sie nur entgegen der Fahrtrichtung einbaust. Das gilt zum Beispiel für Reboarder wie den BeSafe iZi Turn i-Size, der rückwärts installiert dem plusgetesteten iZi Twist i-Size entspricht oder den Avionaut Aerofix, dessen Rückwärtsversion Aerofix RWF den schwedischen Plustest bestanden hat.
Diese Kindersitze haben den schwedischen Plustest bestanden
Seit Einführung des Plustests haben erst etwas mehr als 50 Kindersitze den Crashtest bestanden.
Wichtig allerdings zu wissen: Der VTI Plus-Test ist ein freiwilliger Test. Das heißt: Nur weil ein Reboarder nicht in der Liste auftaucht, bedeutet das nicht, dass dieser Kindersitz schlechter oder unsicherer ist als die gelisteten Kindersitze.
Der VTI und ich sagen also, dass Reboarder viel sicherer sind als vorwärtsgerichtete Kindersitze. Wir sind allerdings nicht alleine mit unserer Auffassung. Auch der ADAC, der ÖAMTC, der TCS und Stiftung Warentest weisen regelmäßig darauf hin, wie wichtig es ist, Kindersitze möglichst lange entgegen der Fahrtrichtung zu installieren.
Damit du daneben außerdem noch ein paar weitere Stimmen von Expertinnen und Experten gehört hast, findest du auch diese auf meiner Seite.
Weitere Expertinnen- und Experten-Stimmen zu Reboardern
Neben den Aussagen, die ich zitiere, gibt es natürlich noch viel mehr Institutionen, Unfallforscherinnen und Unfallforscher und viele andere, die regelmäßig darüber aufklären, dass Reboarder sicherer sind.
Da ich glaube, dass insbesondere die Videos dich bereits vom Rückwärtsfahren überzeugt haben, habe ich keine 20 Stimmen gesammelt, sondern „nur“ die folgenden. Falls die Technik funktioniert, findest du in der mobilen Ansicht ein Pfeilchen, damit du das zweite Zitat in der Box auch sehen kannst.
Zitat: “Keep your child rear-facing as long as possible. It’s the best way to keep him or her safe.”
Zitat: “Young children should sit rear-facing as long as possible, until they grow too big for the restraint’s height or weight limit.”
Zitat: "Rearward-facing seats provide greater protection for the baby's head, neck and spine [...] An extended rearward facing child car seat, is a seat that allows a child to travel rear facing for longer, typically up to around four years of age, or in some cases, up to around six years of age."
Zitat: "Små barn som åker i framåtvända barnstolar löper fem gånger högre risk att dödas eller skadas svårt, jämfört med barn i bakåtvända bilbarnstolar. [...] Rekommendationen är att barn sitter bakåtvända så länge som möjligt, normalt tills de är ungefär fyra år."
Das war ganz schön viel Input jetzt. Wie wäre es mit einer neuen Tasse Kaffee oder einem Tee?
Wo du weiterlesen solltest? Da, wo du es gerne möchtest. Du hast die Wahl zwischen meiner Kauf- und Auswahlberatung, meinen Reboarder-Vorstellungen (kann ich dir sehr empfehlen!) und meinem Artikel über die häufigsten Mythen über Reboarder. Kekse?