Unfall mit Kindersitz im Auto - und jetzt?
Wann du deinen Kindersitz ersetzen musst und wann nicht
Ich hoffe, du bist hier gelandet, weil du dir nur theoretisch Gedanken darüber machst, was passiert, wenn du einen Unfall hast und dein Kindersitz im Auto steht. Falls nicht, wünsche ich dir, dass sich der Schaden und der Ärger in Grenzen halten. Ganz gleich, wie du hierher gekommen bist, auf dieser Seite erfährst du, in welchem Fall du deinen Kindersitz nach einem Unfall unbedingt austauschen musst und wer für die Kosten des Ersatz-Sitzes aufkommt.
Disclaimer: Ich biete keine Rechtsberatung an, dazu bin ich auch gar nicht berechtigt, wenngleich ich vor vielen Jahren einmal versehentlich ein paar Semester Jura studiert habe.
Gestatten? Kerstin!
Kaffee-Junkie, Kindersitz-Coach, Mama von 7 Kindern und die, die Gerüchten zufolge jede Frage zu Kindersitzen beantworten kann. Neben Jura habe ich versehentlich auch etwas Germanistik und ein Probe-Semester Pädagogik studiert. Wenn du mehr darüber erfahren willst, worin ich sonst noch gescheitert bin, klicke gerne auf den Button:
Inhaltsverzeichnis: Unfall mit Kindersitz an Bord
Wann du deinen Kindersitz ersetzen musst
Ein Kindersitz ist dafür konzipiert, das Leben deines Kindes bei einem Unfall zu retten, wobei die Betonung hier ausdrücklich auf „einem“ liegt. Kindersitze sind nicht dafür da, mehrfach zu schützen, sie tun einmal ihr Bestes und sollten im Anschluss dringend in den Ruhestand geschickt werden – und das meint: Gurte durchschneiden und auf den Sperrmüll oder zum Wertstoffhof mit dem Sitz und das am besten so, dass auch niemand anderes auf die Idee kommt, den Kindersitz je noch einmal zu verwenden.
Fast alle Kindersitzhersteller empfehlen den Austausch des Kindersitzes nach einem Unfall mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 10 km/h oder mehr. 10 km/h klingen erst einmal wenig, sie reichen aber aus, um einen Kindersitz gegebenenfalls so zu schädigen, dass er dein Kind kein zweites Mal schützen kann.
„Gegebenenfalls“ meint: Es kann sein, dass der Kindersitz bei dem Unfall Schäden davongetragen hat, die du von außen nicht erkennen kannst, die aber trotzdem da sind.
Das können zum Beispiel Haarrisse sein, die bei der weiteren Verwendung des Sitzes oder – wir wollen das wirklich nicht hoffen – bei einem zweiten Unfall dafür sorgen können, dass der Kindersitz dein Kind nicht mehr so gut schützen kann wie im neuwertigen Zustand.
Ab welcher Aufprall-Geschwindigkeit solltest du den Sitz austauschen?
Diese Kindersitzhersteller empfehlen den Austausch des Kindersitzes und der unter Umständen dazu gehörigen Basisstation ab einer Aufprall-Geschwindigkeit von 10 km/h:
- Avionaut
- Avova
- Axkid
- BeSafe
- Britax Römer
- Cybex
- Goodbaby
- nachfolger
- Recaro
- Swandoo
Bei Graco, Joie, Maxi-Cosi und nuna gelten leicht abweichende Vorgaben. Wenn du einen Kindersitz dieser Marken hast, frag am besten beim Hersteller nach, ob er in deinem Fall einen Austausch empfiehlt. Grundsätzlich steht bei nahezu jedem Kindersitz-Hersteller in der Anleitung zum Autositz, ab wann der Hersteller zum Austausch des Sitzes rät.
Was gilt bei Wild-Unfällen?
Auch bei Wild-Unfällen kann ein Austausch des Kindersitzes nötig sein – nicht unbedingt bei 10 km/h und einem Hasen, aber durchaus bei 120 km/h auf der Autobahn und der Begegnung mit einem Wildschwein, einem Hirsch oder einem Elch (wer weiß, wo du unterwegs bist). Frag auch in so einem Fall am besten beim Kindersitz-Hersteller nach, wenn du dir unsicher bist.
Und bei Parkremplern?
Bei einfachen Parkremplern muss der Kindersitz normalerweise nicht ausgetauscht werden, da die Geschwindigkeit in dem Fall nicht hoch genug ist, um einen Schaden am Kindersitz zu verursachen. An der Stelle und für eine grobe Einschätzung: Die allermeisten Menschen fahren mit deutlich weniger als 10 km/h rückwärts – wenn dich jemand rückwärts erwischt, war die Geschwindigkeit meist geringer.
Ist es relevant, ob ein Kind beim Unfall im Kindersitz gesessen hat?
Die meisten Kindersitz-Hersteller unterscheiden nicht danach, ob ein Kind beim Unfall im Kindersitz gesessen hat oder du einen Unfall mit einem leeren Kindersitz hattest. Der einzige mir bekannte Kindersitz-Hersteller, der unterscheidet, ob der Kindersitz besetzt war oder nicht, ist Maxi-Cosi. Da Maxi-Cosi sein eigenes ➞ Unfallaustausch-Programm hat, musst du dich aber ohnehin an den Hersteller selbst wenden, wenn du deinen Kindersitz ausgetauscht haben möchtest.
Und damit sind wir auch schon direkt im nächsten Thema: Wer bezahlt eigentlich für deinen Austausch-Kindersitz?
💵 Wer übernimmt die Kosten für den Austausch-Kindersitz?
Kindersitze sind teuer. Gut, dass der Kindersitz dein Kind beim Unfall geschützt hat, trotzdem ist es natürlich ärgerlich, dass du nun einen neuen brauchst. Wer den Kindersitz bezahlt und ob du selbst die Kosten übernehmen musst, hängt immer vom Unfall ab. Vergleichsweise einfach ist es, wenn du den Unfall nicht selbst verursacht hast, sondern jemand anderes.
Austausch auf Kosten der Versicherung
Wer die Kosten für den Kindersitz-Austausch übernimmt, hängt maßgeblich davon ab, wer den Unfall verursacht hat. Sehen wir uns zunächst an, wie es sich verhält, wenn jemand anderes den Verkehrsunfall verursacht hat.
Der Unfall ist fremdverschuldet
Wenn eine andere Person für den Unfall verantwortlich war, muss die Versicherung des Unfallverursachers bzw. der Unfallverursacherin deinen Schaden regulieren und dabei auch die Kosten für deinen Austausch-Kindersitz tragen.
Mein Tipp:
Wende dich am besten an einen Anwalt oder eine Anwältin für Verkehrsrecht. Auch deine Anwaltskosten müssen in diesem Fall von der gegnerischen Versicherung übernommen werden.
Der Unfall ist selbstverschuldet
Du hast den Verkehrsunfall selbst verursacht? In diesem Fall ist deine Kasko-Versicherung die richtige Ansprechpartnerin. Deine Kasko deckt in aller Regel nicht nur den Schaden an deinem Auto ab, sondern auch Schäden an Zubehör-Teilen, die fest in deinem Fahrzeug verbaut sind oder die du bestimmungsgemäß mitgeführt hast. Unter dieses sogenannte mitversicherte Zubehör fällt auch dein Kindersitz.
Du liest meinen Artikel rein aus Interesse? Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, um deine Versicherung zu fragen, ob Kindersitze in deiner Police mitversichert sind.
Unfallaustausch-Programme der Kindersitzhersteller
Wenn du den Unfall selbst verursacht hast und deine Kasko-Versicherung den Austausch nicht übernimmt oder du nicht kasko-versichert bist, kann es sein, dass der Kindersitz-Hersteller selbst oder das Geschäft oder der Onlineshop, bei dem du den Kindersitz gekauft hast, deinen Autositz und, sofern vorhanden und ebenso verunfallt, die Basisstation, ersetzt.
Folgende Kindersitz-Hersteller haben ein eigenes Unfallaustausch-Programm:
Da sich die Bedingungen der Unfallaustausch-Programme ändern können, verzichte ich darauf, diese hier aufzulisten.
Mein Tipp: Prüfe nach dem Kauf des Kindersitzes, ob du den Sitz beim Kindersitz-Hersteller registrieren musst, um ihn im Falle eines Unfalls ersetzt zu bekommen. Denke außerdem daran, einen Unfall immer so schnell wie möglich zu melden, die meisten Kindersitzhersteller und Händler/innen tauschen deinen Kindersitz nur dann auf ihre Kosten aus, wenn du den Unfall innerhalb einer bestimmten Frist gemeldet hast.
Unfallaustausch-Programme von Fachgeschäften
Neben den Herstellern bietet auch eine ganze Reihe von Babymärkten und Fachgeschäften eine Unfall-Austausch-Garantie an, oft kostenlos, zum Teil kostenpflichtig. Auch hier sind die Bedingungen unterschiedlich, meist übernehmen diese Programme den Sitz dann, wenn der Unfall selbstverschuldet ist und deine Versicherung den Schaden nicht reguliert.
Zeitwert oder Neuwert? Was zählt beim Austausch-Kindersitz?
Bei den meisten Gegenständen gilt nach einem Unfall der Grundsatz „neu für alt“, das bedeutet, du bekommst nicht den vollen Kaufpreis erstattet, sondern nur den aktuellen Zeitwert. Bei einem 3 Jahre alten Fernseher würdest du zum Beispiel deutlich weniger bekommen als den damaligen Kaufpreis.
Bei Kindersitzen ist das anders oder sollte es zumindest anders sein. Deutsche Gerichte haben in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass bei Kindersitzen kein Abzug „neu für alt“ vorgenommen werden kann. Das heißt allerdings nicht, dass deine Versicherung oder die des Gegners oder der Gegnerin dir einfach so den vollen Kaufpreis erstattet. Oftmals ist hier etwas Schriftverkehr und mehr Nachdruck notwendig.
Warum die Ausnahme bei Kindersitzen? Einige Gerichte argumentieren, dass es Eltern unzumutbar ist, nach einem Unfall einen gebrauchten Kindersitz zu kaufen. Bei einem sicherheitsrelevanten Gegenstand wie einem Kindersitz kannst und solltest du als Elternteil nicht das Risiko eingehen (müssen), dass der gebrauchte Kindersitz bereits Vorschäden hat, die von außen nicht erkennbar sind. Das ist übrigens nicht nur bei Kindersitzen so, sondern auch bei Motorrad-Helmen.
Mein Tipp: Im Zweifelsfall hilft dir ein Anwalt oder eine Anwältin weiter. Auch Kindersitzhersteller können dir ein Schreiben ausstellen, das bestätigt, dass dein Kindersitz nach diesem Unfall ausgetauscht werden muss.
☑ Checkliste: Verhalten vor, beim und nach dem Unfall
Das Beste, was du für den Ernstfall tun kannst, ist, dich schon beim Kauf deines Kindersitzes abzusichern:
Zum Abschluss des Artikels lasse ich dir noch eine Sammlung von Zitaten aus Gerichtsurteilen hier, die dir oder deinem Anwalt oder der Anwältin beim Argumentieren weiterhelfen können.
Und falls du gerade einen Unfall hattest: Alles Gute und gute Besserung für dich oder euch und starke Nerven! 😊
👨⚖️ Gerichtsurteile zum Kindersitzaustausch nach einem Verkehrsunfall
AG Dortmund, Urteil vom 16.11.2023, 404 C 890/23 ➞ https://www.kanzlei-sorge.de/-/media/50/urteil-ag-dortmund-404-c-89-23.pdf
„ist ein Austausch des Sitzes in Übereinstimmung mit den Herstellerempfehlungen aus Sicherheitsgründen angezeigt und erforderlich. Auch erschöpft sich nach Auffassung des Gerichtes der Anspruch nicht im Zeitwert des Kindersitzes. Für die Klägerin ist es zunächst unzumutbar, den vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustand durch die Anschaffung gebrauchter Kindersitze wiederherzustellen. Es kann von der Klägerseite nicht verlangt werden, für seine engsten Familienangehörigen in einem derart sensiblen Bereich wie dem Schutz vor mitunter schwerwiegenden Verletzungen aufgrund der Gefahren des Straßenverkehrs auf einen Kindersitz zurückzugreifen, dessen Vorgeschichte der Kläger nicht kennt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade bei Kindersitzen eine der Sicherheit der Sitze abträgliche Beschädigung des Materials von außen gerade nicht zwingend erkennbar sein muss. Bei einem gebrauchten Kindersitz (…) kann die Klägerseite nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Gegenstand etwa aufgrund eines Sturzes bereits vorgeschädigt ist und damit die Sicherheit seiner Kinder nicht gewährleistet ist.
AG Cuxhaven, Urteil vom 16.03.2022, 5 D 384/21 ➞ https://www.kanzlei-sorge.de/-/media/48/ag-cuxhaven-5-c-384-21.pdf
„In den Bedienungsanleitungen aller namhaften Hersteller für Kindersitze ist für den Fall des Unfalles zu lesen: ‚Wir empfehlen Ihnen, den Kinderautositz nicht weiter zu verwenden. Bereits bei Aufprallgeschwindigkeiten ab 10 km/h können unsichtbare Schäden auftreten. (…)‘ Das Gericht geht aufgrund des Schadens (…) davon aus, dass bei dem Unfall entsprechende Kräfte auch auf die Kindersitze gewirkt haben, dass diese nicht mehr zu verwenden sind. Die Beklagte kann sich dabei nicht auf den Abzug neu für alt berufen. Es sind die vollen Kosten (…) für die Neuanschaffung der Kindersitze ersatzfähig.“
AG Meppen, Urteil vom 17.06.2020, 3 C 372/20 ➞ https://files.vogel.de/infodienste/smfiledata/1/5/6/5/2/0/216778.pdf
„Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diesbezüglich ein Abzug „neu für alt“ nicht vorzunehmen. (…) Dem Kläger ist es nämlich unzumutbar, als Ersatz einen gebrauchten Kindersitz anzuschaffen, da es sich bei einem Kindersitz um einen sicherheitsrelevanten Gegenstand handelt, der vorliegend dem Schutz engster Familienangehöriger dient. Das Gericht setzt als bekannt voraus, dass gerade bei Kindersitzen Beschädigungen des Materials, welche die Sicherheit des Sitzes vermindern, von außen nicht zwingend erkennbar sein müssen.“
LG Stuttgart, Beschluss vom 14.03.2018, 5 S 6/18 ➞ https://openjur.de/u/2353954.html
„b) Die amtsgerichtliche Entscheidung ist auch insoweit nicht zu beanstanden als dem Kläger im Hinblick auf den bei dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen beschädigten Kindersitz die vollen Anschaffungskosten in Höhe von 115,50 EUR zugesprochen worden sind. Nach Auffassung der Kammer ist die Wertung des Amtsgerichts, dem Kläger sei es unzumutbar, als Ersatz einen gebrauchten Kindersitz anzuschaffen, gut vertretbar angesichts des Umstandes, dass es sich bei einem Kindersitz um einen sicherheitsrelevanten Gegenstand handelt. Tatsächlich muss der Kläger das Risiko einer nicht erkennbaren Vorschädigung eines gebrauchten Kindersitzes nicht hinnehmen und darf daher auf Kosten des Schädigers einen neuwertigen Kindersitz anschaffen, ohne sich insoweit einen Abzug „neu für alt“ anrechnen lassen zu müssen.“
AG Ansbach, Endurteil vom 19.10.2016, 5 C 721/16 ➞ https://openjur.de/u/2293840.html
„Für den Kläger ist es zunächst unzumutbar, den vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustand durch die Anschaffung gebrauchter Kindersitze wiederherzustellen. Es kann von dem Kläger nicht verlangt werden, für seine engsten Familienangehörigen in einem derart sensiblen Bereich wie dem Schutz vor mitunter schwerwiegenden Verletzungen aufgrund der Gefahren des Straßenverkehrs auf einen Kindersitz zurückzugreifen, dessen Vorgeschichte der Kläger nicht kennt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade bei Kindersitzen eine der Sicherheit der Sitze abträgliche Beschädigung des Materials von außen gerade nicht zwingend erkennbar sein muss. Bei einem gebrauchten Kindersitz (…) kann der Kläger nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Gegenstand etwa aufgrund eines Sturzes bereits vorgeschädigt ist und damit die Sicherheit seiner Kinder nicht gewährleistet ist.“
OLG Koblenz, Urteil vom 12.12.2011, 12 U 1059/10 ➞ https://openjur.de/u/2214581.html
„Der Senat setzt insoweit als allgemeinbekannt voraus, dass Kindersitze nach Unfällen, die über eine Bagatellgrenze hinausgehen, wegen der Möglichkeit einer Bildung von – durch bloßen Augenschein regelmäßig nicht wahrnehmbaren – Haarrissen des Austausches bedürfen, um einen wirksamen Schutz des Kindes zu gewährleisten. (…) Hinsichtlich der Schadenshöhe kann offen bleiben, ob nach Lage des Falles ein Abzug neu für alt zu berücksichtigen ist. Da der Nutzungsdauer eines Kindersitzes durch das Kindesalter und -gewicht eine absolute Grenze gesetzt ist, erwächst dem Kläger durch den Neuerwerb des Sitzes kein merklicher wirtschaftlicher Vorteil, so dass allenfalls ein geringfügiger Abzug anzusetzen wäre.“
Genug von Unfällen für heute. Du bist auf der Suche nach einem neuen Kindersitz? Sieh dich gerne in meinem Kindersitz-Ratgeber um. Mehr Informationen zu gebrauchten Kindersitzen findest du auf meiner Seite zum Gebrauchtkauf von Babyschalen und anderen Autositzen. 🙂